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Foto: Jessica Prautzsch @ Tybas Dance Center

Cross training: tänzerin und Dozentin Maude Andrey über die vorteile von vielseitigem Training

Hände hoch, wer bei Cross Training auch direkt an verschwitzte Pumper in einem Fitnessstudio denkt? Wir können euch beruhigen, darüber haben wir uns mit der Schweizerin Maude Andrey ganz sicher nicht unterhalten. 

Unter Cross Training versteht man nämlich Folgendes: einen vielseitigen Trainingsplan, der durch die unterschiedlichsten Disziplinen und Stilistiken versucht, aus dem jeweiligen Individuum das Beste herauszuholen. Klingt spannend, oder? Fanden wir auch. Also, liebe Maude, das Wort gehört dir:

Maude, schön, dass du da bist. Erzähl doch mal, wie bist du zum Tanzen, im Speziellen zum Ballett, gekommen?

„Ich habe sehr früh mit Ballett angefangen – mit 4 Jahren. Ich habe mich zu Hause immer viel bewegt, vor allem nach einem bestimmten Buch. Das hieß „die kleine Martine“, eine französische Buchserie. 

Auf Französisch heißt es Martine, petit rat de l’opéra“, also kleine Opernratte. Auf Französisch nennt man kleine Tänzer petits rats, auf deutsch klingt das ein wenig seltsam, ist aber niedlich gemeint.

Ja, und dann haben meine Eltern irgendwann gesehen, dass ich mich immer bewege und anscheinend Spaß an Bewegung und Tanz habe und haben mich deshalb in einer Ballettschule angemeldet. Allerdings ist das am Anfang kein Ballett, Ballett, sondern eher rhythmischer Tanz und Spiel.

Später habe ich dann so mit 6, 7 wirklich mit Ballett angefangen und nach dem RAD (Royal Academy of Dance) Programm trainiert, ungefähr bis ich 12 war, alles in einer Hobbyschule. Da habe ich auch Jazzkurse belegt, Ballettkurse und ich habe sogar eine kurze Zeit Tap Dance, also Steppen gemacht. 

Als ich 12 Jahre alt war, hat dann ein Programm in meiner „normalen“ Schule aufgemacht, das hieß „AFJD – Tanz und Studium“. Das war ganz neu und bedeutete letztendlich jeden Tag Tanzen, natürlich an den normalen Stundenplan angepasst, sodass man alles schaffen konnte. 

Dort wurden extra Ballettsäle eingebaut. Ich hatte jeden Tag Ballett, so 5-6 Mal die Woche, Contemporary, Charaktertanz, also alles, was da drumherum noch zu einem Tänzer dazugehört.

Später, als ich fast 16 Jahre alt war, bin ich dann nach Hamburg gekommen, um meine Ballettausbildung an der Hamburger Ballettschule von John Neumeier zu absolvieren. Das hat zwei Jahre gedauert und später habe ich dann meinen Vertrag in der Kompanie bekommen und habe im Anschluss 5 Jahre mit der Kompanie getanzt.“

Heute tanzt du zwar immer noch, arbeitest aber hauptsächlich als Dozentin: Wie kam es dazu, dass deine aktive Zeit beim Hamburg Ballett zu Ende gegangen ist? War es deine eigene Entscheidung?

„In der Kompanie ist es so, dass man als Tänzer Jahresverträge bekommt und 2013, nach fünf Spielzeiten wurde mein Vertrag nicht verlängert. In meiner Zeit dort kam öfter das Thema auf, dass meine Figur zu weiblich sei und ich mit meinem Gewicht aufpassen müsse. Natürlich wurde dies nie direkt kommuniziert, dass das der letztendliche Grund war. 

Aber ich kann sagen, dass meine grundsätzliche Einstellung zum Tanzen nicht der Grund gewesen sein kann, da ich immer hart gearbeitet habe. Das alles war eine schwierige Zeit, besonders zum Ende hin.Natürlich hätte ich versuchen können, ein wenig abzunehmen, aber das war psychisch sehr schwer für mich. Zudem hört und sieht man in der Ballettwelt, wie weit das Ganze gehen kann. 

Letztlich war das Ende in der Kompanie für mich persönlich sehr gut, weil ich nicht in so einen Teufelskreis hineingerutscht bin. Im ersten Moment hab ich nach dem Ende der Anstellung sogar eine Erleichterung gespürt, weil ich den Druck nicht mehr aushalten musste. Aber natürlich war ich um das Tanzen an sich sehr traurig. 

Zum Glück konnte ich später aber wieder am Theater Kiel tanzen und schöne neue Erfahrungen sammeln, weil dort meine tänzerischen Fähigkeiten im Vordergrund standen und ich das Thema „Gewicht“ zu dem Zeitpunkt bereits aufgearbeitet hatte.“

War das auch die Zeit, in der du begonnen hast dich fürs Tangotanzen zu interessieren? Hast du nach einer Art Freiheit im Tanz gesucht oder mehr Emotionalität?

„Meine aktive Zeit in der Kompanie und die Entdeckung des Tango Argentino für mich, haben sich tatsächlich überschnitten. In der Kompanie ist es so, dass den Tänzern rechtzeitig mitgeteilt wird, wenn ein Vertrag nicht fortgeführt wird, damit diese genügend Zeit haben, sich neu zu orientieren. Und in dieser Zeit hatte ich schon den Tango. 

Auf Tango an sich bin ich durch Zufall gestoßen. Ein Freund von einem Freund aus der Kompanie ist damals nach Hamburg gekommen, um hier an einer Tangoveranstaltung teilzunehmen, einem sogenannten Tango Marathon.

Wir sind dann dorthin mitgegangen, um einen schönen Abend zu haben. Uns hat es dort so gut gefallen, besonders mir, dass wir beschlossen haben, einfach damit anzufangen. Natürlich war es parallel zur Arbeit in der Kompanie etwas schwierig. 

Aber immer, wenn wir Zeit hatten, haben wir eine Tanzstunde gemacht. Wir hatten extra eine spezielle 10er-Karte, mit der wir immer gehen konnten, wann wir Zeit hatten.

Mein Ballettfreund von damals ist dann irgendwann umgezogen und ich habe trotzdem weitergemacht. Da habe ich auch angefangen, alleine zu den Tangoabenden, den Milongas, zu gehen, um mit ganz verschiedenen Leuten zu tanzen – ich wollte einfach Spaß haben! 

Es war eine wirkliche Befreiung für mich und ich hatte mich bis dahin noch nie so weiblich und gut gefühlt.“

Foto: Daniël Veder

Trotzdem ist Tango ja auch wieder ein eher technischer Tanz – du hast also diesen Rahmen nicht ganz verlassen, oder?

„Klar, Tango hat viele Techniken und Tricks, aber zu Beginn braucht man tatsächlich gar nicht so viel Technik. Die Essenz vom Tango ist die Verbindung zum Partner, das Gefühl ein wenig zu schweben. Im Tango gibt es zwei Rollen: die Führende und die Folgende. 

Und ich habe die Folgende gelernt. Da kannst du wirklich loslassen. Wenn ich Tango unterrichte, sage ich immer, es ist wie eine Sprache zu lernen. Du lernst die Wörter und dann sagst du, was du willst. Das System musst du natürlich trotzdem lernen.“

Wir wollen heute vor allem über das Thema Cross Training sprechen und wie sich verschiedene Tanzstile und Trainingstechniken positiv gegenseitig beeinflussen können. Hast du, als du mit dem Tango Argentino angefangen hast, gemerkt, dass dir deine Balletttechnik geholfen hat? Bist du schneller reingekommen?

„Ja, ich denke schon. Zumindest dabei zu unterscheiden, wo rechts und links ist. Ich sage mal so, ich weiß genau, wo meine Hand ist, mein Fuß und wie mein Schulterblatt stehen. Wenn man eine Korrektur bekommt, kann man diese viel schneller umsetzen. Ganz einfach, weil man eine bessere Koordination und Körperwahrnehmung hat. Allerdings ist der Unterschied zwischen Ballett und Tango schon sehr groß. 

Beim Ballett geht tendenziell alles eher nach oben und Tango ist eher geerdet. Die Knie sollen nicht durchgestreckt werden. Natürlich geht das Lernen mit einer professionellen Tanzausbildung schneller, aber man kann gleichzeitig auch Probleme mit den Details bekommen. Das Loslassen, diese Lockerheit, fällt Balletttänzern vielleicht schwerer.“

Was für Stile und Trainingsmethoden gibst du aktuell so weiter?

„Was ich unterrichte, ist Ballett, und alles, was dazu gehört wie Stretching, Spitze und Variation. Von Anfänger bis Fortgeschrittene. Ich unterrichte auch Tango Argentino. Sowohl alleine (Technikstunde) als auch im Paar. Zusätzlich habe ich mich in Pilates, Faszientraining und Fitness ausgebildet.

Ich habe auch Fortbildungen für Yoga, Meditation und die Atmung gemacht. Ich interessiere mich sehr für alles, was mit dem Körper zu tun hat. Auch die Verbindung von Körper und Geist.“

Die Antwort liegt im Prinzip schon auf der Hand, aber findest du es sinnvoll verschiedene Techniken und Stile zu erlernen, um aus sich selbst das beste herauszuholen und wenn ja, warum?

„Ja, das finde ich auf jeden Fall. Alles, was man lernt, kann man als Gewinn für andere Fächer sehen und nutzen. Das Tanzen ist allgemein eine Bereicherung fürs Leben. Ballett ermöglicht eine bessere Haltung, (Selbst-) Bewusstsein sowie Freude und Grazie. Mir persönlich hat Tango mehr Selbstbewusstsein und die Freude an meiner Weiblichkeit geschenkt. Das empfindet jeder natürlich anders.

Für die (Tanz-) Techniken hilft es natürlich auch. Ich denke zum Beispiel häufig an neue Ideen, die ich beim Tango gelernt habe und frage mich, wie das im Ballettkontext funktionieren könnte und umgekehrt. Vieles hängt miteinander zusammen und man kann den eigenen Körper auf unterschiedliche Art und Weise entdecken und benutzen.“

Kannst du versuchen auf der Technikebene zu erklären, welcher Stil/welches Training was für Vorteile mit sich bringt? Welche Stärke kann man woraus ziehen?

„Tanz allgemein ist schon sehr ganzheitlich. Ich denke, man muss eher vom individuellen Körpertyp ausgehen und von den eigenen „Schwächen“ aus denken. Zum Beispiel jemand der von Natur aus eher die Füße nach innen dreht, für denjenigen ist Ballett super. 

Vielleicht kommt die Person in den Ballettsaal und denkt: „Oh Gott , ich kann nichts!“ Aber genau deshalb sollte diese Person Ballett machen, weil man so Fehlstellungen korrigieren kann. Ballett bringt definitiv eine Öffnung des Hüftgelenkes mit sich.

Wenn man schon sehr auswärts steht, dann ist Tango wiederum sehr gut, weil du hier im Hüftgelenk eher schließen musst. Man sollte gucken, was brauche ich für meinen Körper, um gesünder zu sein. 

Jemand, der sehr steif ist, sollte zum Ballett oder Stretching gehen, um eine Dehnung zu spüren. Jemand, der schon sehr hyperflex ist, sollte eher zum Krafttraining oder zum Pilates gehen, um sich zu zentrieren. 

Es ist vom Körpertyp abhängig und welche Bewegungen man im Alltag macht.Für den normalen Menschen, der einfach im Büro sitzt, ist es gut überhaupt etwas zu machen. 

Selbst wenn man nur Spazieren geht. Irgendetwas, um wieder in Verbindung mit seinem Körper zu kommen.

Aber klar, man kann festhalten, dass, wenn man besser werden und mehr Leistung erbringen möchte, man von seinen eigenen Schwächen aus denken und daran arbeiten sollte. Und man sollte sich auch mal davon überraschen lassen, was anderes zu machen. Sei es Skifahren oder was auch immer. 

Man kann alles benutzen. Wenn du eine andere Bewegung machst und eine andere Korrektur hörst, kann es wiederum bei einem anderen Training, zum Beispiel beim Ballett, Klick machen.“

Du hast das Thema Mentalität vorhin angesprochen und, dass auch der Geist zu einer Ganzheitlichkeit dazu gehört. Wie siehst du da die Zusammenhänge?

„Wir bewegen uns ja nicht nur, um zu Schwitzen, sondern auch um Freude zu haben und ausgeglichen zu sein. Das Wichtigste aus meiner Sicht ist es, ein gutes Körpergefühl aufzubauen.

In meinen Kursen spreche ich nicht zu viel die psychologische Seite an, weil ich finde, dass diese durch Bewegung automatisch angeregt und berührt wird. Ich bin keine „esoterische Ballettlehrerin“. Trotzdem sage ich natürlich manchmal Dinge wie „spüre und genieße die Bewegung“, um mehr Bewusstsein bei den SchülerInnen zu schaffen.“

Wenn ihr Lust bekommen habt, auch einmal mit Maude zu trainieren, schaut auf Ihrer Website vorbei. Danke Maude!

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Die Redaktion

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