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Foto: Jessica Prautzsch @ Tybas Dance Center

„Wenn ich verstanden habe, dass ich nicht genau so sein kann wie eine andere Person, dann trainiere ich mental gesünder.“: Tanzpädagogin Lena Marske über Conscious Training

Consciousness, also das hippe Wort für Bewusstsein, wird aktuell häufig im Nachhaltigkeit-Kontext verwendet. Dabei finden wir, dass sich unser allgemeines Bewusstsein auf vielen Ebenen unseres Lebens verabschiedet hat.Insbesondere beim Training leben viele mehr nach dem Motto „höher, schneller, weiter“, leider oft zum Leidwesen der eigenen Gesundheit. Also haben wir uns in der Redaktion gefragt, wie geht eigentlich Conscious Training und was braucht es dafür?

Auch für dieses exciting Thema haben wir uns einen schlauen Fuchs an die Seite geholt, dieses Mal in Form von Dozentin und Tanzpädagoging Lena Marske. Und der Beginn ihrer Leidenschaft fürs Tanzen hat mit einer, wie wir finden, wirklich süßen Geschichte begonnen: 
„Meine Eltern erzählen immer, dass ich nach meiner ersten Ballettstunde aus dem Saal kam und gesagt habe, wenn ich groß bin, werde ich Ballettlehrerin. Für mich hat diese Frau (ihre Ballettlehrerin) nur in dem Ballettsaal existiert. Sie hatte kein reales Leben und gehörte zum Inventar. Ich war total in Love!“

Ob diese Story sich wirklich so zugetragen hat, wird wohl für immer das Geheimnis von Lenas Eltern bleiben. Was aber definitiv keine alternative facts sind, ist, dass wir uns mit Lena über knallharte Fakten zum Thema Conscious Training ausgetauscht haben. Let’s go!

Lena, wir freuen uns sehr! Wir wollen uns heute über das Thema Conscious Training unterhalten, also das bewusste und gesunde Training. Was bedeutet denn Bewusstsein und Consciousness für dich ganz allgemein?

„Also Bewusstsein ist ja im Prinzip Wahrnehmen. Aber eben nicht nur Wahrnehmen im Sinn von „du hast etwas gesagt“, sondern etwas ganz bewusst wahrzunehmen. Sprich, darauf zu achten, was ist mein Gefühl dabei und etwas mit allen Sinnen zu erleben. Dass man sieht, hört, riecht, fühlt. 

Dass man wirklich auch versucht zu verstehen. Es ist nicht nur ein beiläufiges, „Moin, gehts dir gut?“, sondern etwas, dass ich ganz bewusst in mir aufgenommen habe. Es hat entweder was mit mir gemacht oder in mir ausgelöst. Oder ich versuche etwas zu verstehen. Quasi eine Ebene über „ich habe etwas registriert“.

Versuchst du das auch in deinem Alltag zu leben?

„Ja, es ist mir immer wichtiger geworden. Ich habe eine Zeit in meinem Leben gehabt, wo ich super, super viel gearbeitet habe. Und wenn man an so einen Punkt kommt, an dem man einfach nur funktioniert, dann geht das bewusste Wahrnehmen total verloren. Man steht morgens auf und arbeitet alles einfach so ab. Man überlebt quasi den Tag, bringt alles hinter sich, aber das bewusste Wahrnehmen im Sinne von „da ist noch etwas neben der Arbeit“, fehlt.

Oder auch in der Arbeit selber, zum Beispiel beim Unterrichten. Nicht nur zu funktionieren und eine Übung nach der anderen wie eine Maschine herauszuhauen, sondern bewusst die Schüler wahrzunehmen, und die Übung, die ich vorzeige, auch in meinem eigenen Körper bewusst zu spüren. 
Und was mir ganz, ganz lange gefehlt hat, war vor allem ein Bewusstsein für alles, was neben der Arbeit ist.“

Gab es einen bestimmten Punkt, ein Erlebnis oder einen Auslöser, der dich dazu gebracht hat den Modus „eine Übung jagt die nächste“ zu fahren, sondern eher auch mal im Kleinen zu gucken?

Also ich glaube so richtig angefangen hat das mit einer eigenen Verletzung. Ich bin mit 19 in die Berufsausbildung gegangen und habe schon vorher mein Leben lang täglich Ballett gemacht und da war das natürlich… man ist Kind, man ist Teenager, natürlich es macht Spaß, man genießt das, aber man hat in dem Moment noch gar kein Bewusstsein für Balletttechnik, sondern setzt vieles einfach nur um. 

Ich hatte zwar sehr, sehr gute Lehrerinnen, trotzdem war es dann so, als ich in die Ausbildung gekommen bin, dass ich nach einem halben Jahr mit mehreren Stunden Training täglich, verletzt war. Ich hatte einen Übermüdungsbruch im Mittelfuß.

Ich bin dann zu einer speziellen Ärztin gegangen, die tanzmedizinisch arbeitet und da ist mir plötzlich klar geworden, dass diese Verletzung nicht passiert ist, weil ich so viel trainiert habe habe, sondern weil ich das Training, was ich gemacht habe, falsch gemacht habe. Also ich hatte einfach in meiner Balletttechnik viele Fehlhaltungen. 

Ich habe nicht richtig auf meinen Füßen gestanden. Und dementsprechend, das hängt ja alles zusammen, haben natürlich auch ganz viele andere Sachen nicht gestimmt von der Haltung.

Diese Verletzung hat mir bewusst gemacht, dass ich eben nicht bewusst wahrgenommen habe, was ich da tue. Ich wusste zwar was ein Plié ist, aber was passiert da wirklich in meinem Körper? Also was ist ein bewusstes Plié? Klar, ich beuge meine Beine, ich strecke meine Beine – aber was passiert außen herum noch überall? Ich habe dann einen Trainingsplan bekommen mit Sachen, die ich natürlich erst einmal nicht machen durfte, aber mir wurde trotzdem gesagt hier, das, das und das darfst du machen, ABER dir muss klar sein, wie du es machst. Da habe ich angefangen mich ganz BEWUSST mit Anatomie auseinanderzusetzen.“

„Ich bin mit „einfach nachmachen“ bis zur Berufsausbildung durchgekommen und habe aber gemerkt, ok, der Körper wird älter, die Beanspruchung in der Berufsausbildung ist auch eine ganz andere, wie wenn du auf Hobbyniveau trainierst, und wenn ich so weiter mache, werde ich nicht weiter kommen. Dann wird irgendwann der Punkt kommen, an dem ich aufhören muss. Und weil ich das natürlich auf gar keinen Fall wollte, habe ich gedacht gut, wie ändere ich das? Ich muss bewusst verstehen, was mein Körper macht, was mein Körper braucht und wie ich das umsetze.“

Was machst du denn genau, um das ins Training zu integrieren? Worauf achtest du – was möchtest du weitergeben?

„Also, ich rede viel (lacht). Ich versuche ganz viel zu erklären, während man die Dinge tut. Es gibt ja ganz verschiedene Lerntypen. Es gibt Leute, die lernen visuell, es gibt welche die lernen sehr gut durchs Lesen, die anderen müssen es einfach nur hören.

Und es ist super schwierig alle gleichberechtigt abzuholen. Aber ich habe gleichzeitig natürlich viele Dinge, derer ich mich bedienen kann. Ich habe das Visuelle, ich mache die Dinge ja selber vor. Ich habe Worte, die ich nutzen kann und ich arbeite ganz viel mit Vorstellungskraft.

Ich benutze ganz viele Bilder, weil viele Tänzer oder sagen wir normale Leute, die zum Hobby Ballett machen, können damit viel mehr anfangen, als wenn ich einfach den Namen von irgendeinem Muskel oder Knochen sage. Das würde niemandem helfen. Ich versuche durch die Bilder, die ich gebe, zu erreichen, dass man ganz bewusst spüren kann, was man spüren soll.

Ganz oft frage ich auch im Unterricht, wie heißt denn das, was du da machst und wie würdest du es jemandem erklären, der es noch nie gemacht hat? Was könntest du als kleinste, komplett herunter gebrochene Erklärung sagen, um zu vermitteln, was da überhaupt passiert? Zum Beispiel „es ist ein Sprung“ – das reicht schon. Und wenn man dann immer mehr in die Details geht, baut sich dafür ein Verständnis auf.

Hast du Tipps, wie man Bewusstsein für sich selber in das eigene Training einbauen kann?

„Das Schwierige ist, es gibt viele Kurse, in denen man einfach nur nachmachen kann. 60 Minuten für eine Unterrichtseinheit ist super wenig Zeit und der Dozent, der vorne steht, hat gar nicht die Möglichkeit alles auszuschöpfen, was geht und viele Leute, die ins Training gehen, möchten ja auch gar nicht dieses tiefste, kleine Verständnis. Sondern manche wollen einfach nur ihren Yogaflow machen oder Schwitzen und das ist auch völlig in Ordnung, macht es aber auch gleichzeitig so schwierig.

Wenn ich aber weiß ich will mehr, ich will mehr Bewusstsein, gerade im Ballett oder auch anderen Tanzstilen wie Jazz oder Contemporary, die Leute haben ja oft ein Ziel. Man will zwei Pirouetten können und nicht nur eine oder man will das Bein nicht mehr nur auf 90 Grad haben, sondern ein bisschen höher. Und da muss der Moment beginnen, wo der Schüler selber Lust bekommt dieses Bewusstsein zu lernen. Und da kann man selbst viel machen. Man kann zum Beispiel richtig deutlich auf die Korrekturen des Dozenten hören. Und vor allem auch mal nachfragen und nicht nur Hinnehmen.

Es ist auch für den Dozenten total schön und gleichzeitig total wichtig, wenn die Schüler genauso in die Kommunikation gehen und sich gegebenenfalls auch gegenseitig Denkanstöße geben. Und man kann natürlich mittlerweile auch viel lesen oder sich durch Videos aneignen. Der Wille der Schüler ist wichtig!“

Wie wichtig findest du es in diesem Zusammenhang auch die eigenen Schwächen und Defizite zu kennen? Oder findest du es besser von Fähigkeiten aus zu denken?

„Ne, ich bin immer für ein realistisches Bild. Man sollte auf jeden Fall seine Schwächen kennen. Gerade im Ballett. Zum Beispiel beim Thema Auswärtsdrehung: Die wenigsten haben eine Auswärtsdrehung von 180 Grad. Auch viele professionelle Tänzer nicht, die haben gelernt damit zu arbeiten. Die haben Muskulatur aufgebaut, mit der sie die Auswärtsdrehung kontrollieren und natürlich auch ein wenig forcieren. Meine Schüler sollen ihre individuelle Auswärtsdrehung kennenlernen und genau mit dieser tanzen. Das Idealbild von 180 Grad ist kaum umsetzbar und für viele einfach nicht gesund oder nachhaltig.

Mir ist wichtig, dass meine Schüler lernen: Eine Schwäche ist nichts Negatives und damit sie stark werden kann, muss ich mir ihrer bewusst sein. So kann ich für mich feststellen, wo mein Maximum ist und wo ich hingehen kann. Und vor allem auch, wo es noch gesund bleibt – also rein anatomisch.

Es darf kein Vergleich mit jemand anders im Saal passieren oder mit mir oder einem vermeintlichen Idealbild im Ballett. Meinen Schülern sollte bewusst sein, woran gearbeitet werden kann und wo noch Potenzial da ist. Vielleicht müssen wir das Wort „Schwäche“ einfach streichen und uns nur dem Ist-Zustand bewusst sein – denn genau das macht stark und bewusst und damit selbstbewusst.“

Du hast gerade „gesund“ angesprochen –
was ist gesundes Trainieren für dich?

„Individuell den eigenen Körper zu betrachten und zu wissen, wo sind meine Grenzen. Weil, wenn du 20 Schüler vor dir stehen hast, hast du 20 individuelle Grenzen. Und keiner soll einfach nur machen, was der andere macht, oder was der Lehrer macht. Sondern da muss ein Bewusstsein, eine Selbstwahrnehmung her für ok, mein Auswärts ist hier, von dem Schüler neben mir ist es anders. Aber das ist nicht Meins!

Und das ist dann auf der einen Seite der Weg anatomisch gesund zu trainieren und auf der anderen Seite auch mental. Weg von dem Vergleichen und dem „genauso sein zu wollen“ wie jemand anderes. Denn, wenn ich verstanden habe, dass ich nicht genau so sein kann wie eine andere Person, weil die nicht meinen individuellen Körper hat – dann trainiere ich auch mental gesünder. Weil ich dann weiß, es geht dabei um mich. Und nicht um ein Bild in meinem Kopf oder jemanden der links oder rechts neben mir steht und ich den versuche zu kopieren.“

Wir hoffen, dass ihr euch einen bewussten Moment Zeit genommen habt, um das Interview mit Lena zu lesen. Merci, Lena!

Die Redaktion
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